Eigentlich ist heute mein Self-Care Tag. Eine Maßnahme die ich mit meiner Therapeutin ausgeheckt habe. Als sie die Idee hatte, fand ich die Vorstellung so geil und verlockend, dass ich sie direkt umsetzen wollte. Der Plan: Aufstehen, laaange Yoga-Session mit Duftkerze, Haare färben, Frühstücken, an den Strand fahren, um einen langen Spaziergang voller tiefsinniger Gedanken und kreativer Ideen für meine Texte zu machen, danach tiefsinnige, kreative Texte schreiben. Außerdem ist der Deal heute nicht zu kochen, also nicht für andere. Meiner Tochter ists egal, die kommt eh erst später und Frosta Nudeln findet sie immer geil. Also: Nach der produktiven Phase – vollkommener Entspannungsgenuss, nochmal Yoga, was richtig Geiles zu essen, ne Flasche Pinot und ein Film, den nur ich sehen will. Der perfekte Tag. Natürlich völlig ohne Perfektionsanspruch.
Die Realität: Also das mit dem Aufstehen hat schon mal nicht so gut geklappt. Um 6.30 bin ich nach einer Nacht voll extrem-weirder Träume (ich stand in einer fremden Küche und an der Fensterscheibe ist ein blindes, nacktes Maulwurfbaby entlang gekrabbelt) mit bleiernen Beinen und geschwollenen Augen in die Küche gekrochen, um meiner Tochter Apfel-Zimt Porridge und mir Kaffee zu machen. Danach bin ich wieder im Bett verschwunden und habe mich rumgewälzt. Den Fehler gemacht meine Mails zu lesen, super, die Lehrerin meines Pubertäts-Monsters will mit mir telefonieren, da sie anscheinend letzte Woche geschwänzt hat. Genau was ich brauche. Laptop wieder zugeklappt, weiter im Bett gewühlt und ab und zu einen Schluck Kaffee getrunken. Das dauerte bis 10 Uhr. Danach kurz zusammengerissen, Yoga, Haare färben ein Brot gegessen. Anschließend völlige Erschöpfung. Nach einer längeren Zeit in Unterhose und mit nassen Haaren auf der Bettkante sitzend entscheide ich mich gegen eine Jeans und für die Jogging Hose. Die Vorstellung ne viertel Stunde zum Auto zu latschen das meine Freundin und ich uns teilen und sie gestern aufgrund von chronischem Parkplatzmangel am Arsch der Stadt abstellen musste ist grauenhaft. Die Vorstellung durch die graue, nebelsuppige Stadt an Menschen vorbeilaufen zu müssen, um dann mit dem Auto über eine graue Landstraße zu fahren, um danach am grauen Strand zu laufen an dem man vor lauter scheiss-grauer Nebelsuppe nicht mal den Horizont sehen kann besiegt jegliche Motivation. Ich liebe den Strand und die Steilküste. Ich liebe den Wind und normalerweise lasse ich mich weder von Regen noch Wolken davon abhalten dort. Aber das Ganze Paket ist gerade einfach nicht überzeugend. Die Sinnlosigkeit und Erschöpfung meiner aktuellen Depressionsphase scheinen heute ihre Glanzstunde zu haben. Nachdem ich anschließend zwei Stunden regungslos auf meinem Bett bei einem wirklich guten Hörbuch weggepennt bin und mich danach übelst verkatert fühlte, habe mich entschieden aufzustehen und meinem Tag einen Sinn zu geben in dem ich die Wohnung sauge und meine Regale von Staub befreie. Das ist ein ziemlich trauriger Tages-Sinn aber das ist zumindest überhaupt einer, und er bringt mich dazu mich zu bewegen.
Dabei fällt mir auf, wie sehr ich es vermisse zu tanzen. Die Sehnsucht wird so stark, dass sie anfängt in meinem Bauch zu ziehen und in den Beinen zu schmerzen. Also beschließe ich alleine in meinem Zimmer zu tanzen. Habe ich früher schon gemacht, ist aber ewig her. Ich weiß das es vor mir schon einige Leute gab, die in der Pandemie in ihren Wohnungen getanzt haben, ist jetzt also nix bahnbrechendes. Ich brauche meistens länger, um mich an neue Herangehensweisen zu gewöhnen und sie für gut und zumindest brauchbar zu befinden. War auch mit den Zoom-BBB-Jitsy Konferenzen so (habe diese nach ca. 2 Monaten für teilweise brauchbar und nach 9 Monaten für ne hauptsächlich richtig gute Sache erklärt). Nun also tanzen. Nach dem ersten Herumhüpfen und Wiegen zu ner Playlist mit 80ies Punk, bei dem man so richtig schön den Bass raus hört, schießt mir der Schmerz in den rechten Knöchel, den ich auf ner Brüssel-Studienreise mal ziemlich misshandelt habe. Scheisse, das kann ja jetzt nicht sein, ich bin voll in Stimmung, habe mein goldenes Haarband aufgesetzt und jetzt sowas. Also versuche ich vorsichtig nur den anderen Knöchel zu belasten und nach einer Weile haben sich beide Knöchel an diese scheinbar inzwischen völlig ungewohnte Bewegung gewöhnt und ich schwebe beseelt durch mein Zimmer. Alles anders als gedacht, aber für diese beschissenen Zeiten gar nicht schlecht. Also bin ich gnädig und nachsichtig mit mir, meinem Knöchel und meiner gequälten düsteren Seele und verbuche diesen Tag als vollen Erfolg.